Argumente für und gegen einen Umbau der westlichen Kriegsstraße
Auf der Informationsveranstaltung am 16. Januar wurden seitens der Gegner*innen viele Argumente gegen einen Umbau vorgetragen. Wir stellen diesen Behauptungen Fakten gegenüber oder versuchen, andere Blickwinkel einzuführen.
Am 16. Januar 2024 fand im Kühlen Krug die von über 300 Personen besuchte Informationsveranstaltung zum Umbau der westlichen Kriegsstraße statt. Die Stimmung war, wie zu erwarten, aufgeheizt.
Um den Wünschen der Kritiker des ersatzlosen Entfalls der Parkplätze entgegenzukommen, hat die Stadtverwaltung - sofern der Gemeinderat dies wünscht und beschließt - in der Weinbrenner- und Bunsenstraße 60 günstig zu schaffende Ersatzparkplätze in Aussicht gestellt. Dies entspricht knapp der Hälfte der in der Kriegstraße wegfallenden 122 Parkplätze. Zudem wird die Stadtverwaltung dem Gemeinderat vorschlagen, die Bewohnerparkzone vor dem Beginn der Bauarbeiten auf die Nordseite der Kriegsstraße auszuweiten. OB Mentrup betonte, dass ein Entwurf ohne Radverkehrsanlagen aus Gründen mangelhafter Verkehrssicherheit nicht vertretbar ist und dies deshalb für ihn nicht vorstellbar sei. Die Mit-Schaffung von Radinfrastruktur bei solchen Projekten ist im “Programm für Aktive Mobilität” verankert und damit ein mit Mehrheit des Gemeinderats beschlossener Auftrag, den man umsetze.
Vertretende des Bürgervereins Weststadt und einer Bürgerinitiative trugen ihre Argumente für den Erhalt möglichst vieler (Bürgerverein) oder sogar aller (Bürgerinitiative) Parkmöglichkeiten vor. Sie wollen am Status Quo festhalten. Auch einige der im Gemeinderat vertretenen Parteien haben dies im Vorfeld geäußert. In der Interessensabwägung von möglichst kurzen Wegen zum eigenen, kostenlos geparkten Auto versus der Sicherheit von Radfahrenden oder gar derem prinzipiellen Interesse und Recht, die Kriegstraße zu nutzen, wird erstes als prioritär angesehen. Immer wieder wurde formuliert, dass die Kriegsstraße bereits jetzt ausreichend sicher sei.
Viele der vorgetragenen Argumente sind bei objektiver Betrachtung fragwürdig oder sogar falsch. Im Folgenden stellen wir diesen Behauptungen Fakten gegenüber oder versuchen, andere Blickwinkel einzuführen.
Wer am Status quo festhält, sagt Ja zu Aggressione, Unfällen und motorisierter Gewalt. Er/sie hält - bisweilen tödliche – Unfälle durch Dooring und Stürze an Straßenbahnschienen als Preis für kürzere Wege zum eigenen, kostenlos geparkten Auto für hinnehmbar.
Am Dienstag, den 6. Februar 2024, wird das Projekt im Hauptausschuss öffentlich vorberaten (Sitzungsunterlagen). Am 20. Februar 2024 ist die Beschlussfassung durch den Gemeinderat geplant. Ob das Projekt dort eine Mehrheit erhält, ist nicht sicher.
„Der Bügerverein Weststadt und die Bürgerinitiative vertreten die Interessen aller Anwohnenden“
Der Bürgerverein und die Bürgerinitiative betonen immer wieder, dass sie die Interessen der Anwohnenden vertreten. Dies impliziert, dass alle bzw. die meisten Anwohnenden in der Güterabwägung den Erhalt der Parkplätze der Schaffung eines Radwegs vorziehen würden.
Richtig ist, dass Bürgerverein und -initiative die Interessen nur eines Teils der Anwohnenden vertreten. Bei der Informationsveranstaltung sowie in zahlreichen persönlichen Gesprächen wurde deutlich, dass das Stimmungsbild der Anwohnenden heterogen ist und es auch viele Anwohnende gibt, die die Schaffung eines Radwegs und den Wegfall von Parkplätzen begrüßen.
Zudem erreichen uns Meldungen von Anwohnenden, dass sie per Mitgliedsantrag um Aufnahme in den Bürgerverein gebeten haben. Während einerseits Personen kurzfristig aufgenommen aufgenommen wurden, haben andere keine Antwort erhalten. Dies erweckt den Anschein, dass der Bügerverein nicht offen ist für alle Menschen der Weststadt und deren Interessen.
„Der Bürgerverein wurde nicht ordentlich über die Planungen informiert und einbezogen.“
Mitglieder des Bürgervereins können sich in den amtlichen Bekanntmachen auf karlsruhe.de über die Tagesordnung des Gemeinderats und der Ausschüsse informieren. Diese Möglichkeit steht allen Menschen offen. Im Ratsinformationssystem werden die Tagesordnungen meist noch früher veröffentlicht veröffentlicht. Auch der ADFC verfügt über keine andere Informationsquelle - trotzdem konnte mit ausreichend Vorlauf eine Stellungnahme zum Projekt an die Gemeinderatsfraktionen verfasst werden.
„Es fährt dort kaum jemand Fahrrad.“
Die Bürgerinitiative behauptet, bei einer eigenen videobasierten Zählung 6000 bis 8000 Kraftfahrzeuge, aber nur 300 Radfahrende gezählt zu haben und stellt deswegen den Bedarf eines Radwegs in Frage.
In den technischen Regelwerken für den Straßenbau orientiert sich die Entscheidung, ob Radwege anzulegen sind, nicht an der Anzahl der Radfahrenden, sondern an der Kfz-Verkehrsstärke in der Spitzenstunde (siehe ERA 2010 Kapitel 2.3).
Würde man der Argumentation der Bürgerinitiative folgen, gäbe es keine Ortsumfahrungsstraßen (z. B. Südtangente), weil dort mangels Straße vorher höchstens ein Landwirt mit dem Traktor fuhr. Erst die Existenz von guter Radinfrastruktur motiviert Verkehrsteilnehmende zur Nutzung des Fahrrads, weil sie sich dort sicherer bewegen können. Vor diesem Hintergrund würden bereits heute mindestens 300 Radfahrende von der Verbesserung der Verkehrssicherheit profitieren und es ist genau wegen deren Verbesserung zu erwarten, dass sich deren Zahl in Zunkuft deutlich erhöhen wird.
Umfahrung über Yorck-/Weinbrennerstraße oder Wilhelm-Baur/Eisenlohrstraße
Von Bürgerinitiative und Bürgerverein wird angeführt, dass Radfahrende unter Inkaufnahme von geringen Umwegen und einer theoretischen Fahrtzeitverlängerung von weniger als 1 Minute über die Weinbrenner- und Yorckstraße bzw. die Wilhelm-Baur- und Eisenlohrstraße fahren könnten.
Dabei wird außer Acht gelassen, dass alle angeführten Straßen deutlich unsichere Alternativen darstellen. Sie sind aufgrund ihres Straßenquerschnitts, der durch parkende Autos verengt ist, oft zu schmal für Überholvorgänge von Radfahrenden durch Autos. Dies gilt insbesondere, wenn Radfahrende den erforderlichen Sicherheitsabstand als Schutz vor Dooring-Unfällen (1,0 m zu Parkplätzen) einhalten. Hinzu kommen brenzliche Situationen durch ausparkende Senkrechtparker, die zwar gerne die Straße vor dem Ausparken vollständig einsehen würden, dies aber kaum können. Das ist ein Rezept für eine Konfliktzone, in der vor Ort alle Betroffenen verlieren. Entweder:
- Autofahrende werden ausgebremst oder
- Autofahrende überholen illegal
- Radfahrende geben freiwillig Sicherheitsabstände auf oder
- Anwohnende werden durch das Hupen gestört/aufgeschreckt, mit dem Radfahrende „gebeten“ werden, auf Sicherheitsabstände zu verzichten
Zudem muss die Frage erlaubt sein, warum ausgerechnet diejenigen Personen Ausweichstrecken und Umwege in Kauf nehmen sollen, die sich mit eigener Muskelkraft fortbewegen.
Sophienstraße als Ersatz für Kriegstraße
Von Gegnern des Radwegs wurde angeführt, dass mit der Sophienstraße ganz in der Nähe eine Fahrradstraße zur Verfügung stünde, die vom durchfahrenden Radverkehr genutzt werden könne. Deshalb werde kein eigenes Angebot für Radfahrende in der Kriegsstraße benötigt.
Sophienstraße und Kriegsstraße leiten den Verkehr auf direktem Weg in unterschiedliche Stadtteile: Die Sophienstraße führt zum Entenfang und erschließt damit die Stadtteile Mühlburg und Knielingen. Die Kriegsstraße führt am Kühlen Krug vorbei und bedient Grünwinkel und Daxlanden bzw. die Heidenstückersiedlung. Die Kriegsstraße erschließt also andere Ziele als die Sophienstraße und bietet daher keine gleichwertige Alternative.
„Die Gehwegverengung an der Haltestelle gefährdet Kinder.“
An der Haltestelle ist für den Fuß- und Radverkehr ein getrennter Geh- und Radweg (1,5 m für den Gehweg, weitere 1,5 m für den Radweg) zwischen dem Bahnsteig und den Gebäuden vorgesehen. Die Bürgerinitiative behauptet, dass Kinder bis 8 Jahre diesen (verhältnismäßig schmalen) Gehweg unmittelbar vor den Hauseingängen befahren müssen und damit sich und zu Fuß Gehende in Gefahr bringen würden.
Diese Argumentation nimmt Bezug auf § 2 Abs. 5 Satz 1 StVO, den wir hier zitieren:
Kinder bis zum vollendeten achten Lebensjahr müssen, Kinder bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr dürfen mit Fahrrädern Gehwege benutzen.
Sie lässt jedoch den unmittelbar folgenden Satz 2 außer Acht:
Ist ein baulich von der Fahrbahn getrennter Radweg vorhanden, so dürfen abweichend von Satz 1 Kinder bis zum vollendeten achten Lebensjahr auch diesen Radweg benutzen.
Der Radweg ist im Bereich der Haltestelle durch den Bahnsteig von der Fahrbahn getrennt und darf daher von Kindern bis acht Jahren genutzt werden.
„Die Radfahrenden helfen, dass Tempo 30 eingehalten wird.“
Ein Bürger behauptete, dass Radfahrende auf der Straße dafür sorgen würden, dass Tempo 30 eingehalten werde, da man die Radfahrenden nicht überholen könne. Er stellte die Hypothese auf, dass mit der Schaffung eines Radwegs Geschwindigkeitsverstöße zunehmen würden und die Kriegstraße somit sowohl gefährlicher für alle Verkehrsteilnehmenden werden würde als auch Anwohnende unter der damit verbundenen gröößeren Lärmbelastungen mehr beeinträchtigt seien.
Dabei wird außer Acht gelassen, dass die ausbremsenden Hindernisse in diesem Fall keine Bodenwellen oder Verschwenkungen sondern Menschen sind. Menschen, die beim Radfahren auf der Kriegstraße Bedrohungen und Nötigungen erleben und sich selbst in Gefahr bringen. Der Gedanke, Radfahrenden als menschliche Bremshindernisse zu instrumentaliseren, ist erschreckend, beängstigend, menschenverachtend und, wie es Oberbürgermeister Mentrup treffend ausdrückte, „an Zynismus nicht zu überbieten“.
„Verstoß gegen Recht auf kostenlosen Parkplatz in der Nähe der Wohnung“
Immer wieder wird das Bedürfnis nach einen kostenlosen Parkplatz in der Nähe der Wohnung als zustehendes Recht angesehen. Es ist nachvollziehbar, dass aus Gewohnheitsrecht die Annahme eines Rechtsanspruchs erwächst. Aber ein solches Recht existiert nicht. Öffentlicher Raum dient dem Allgemeinwohl. Ein öffentlicher Parkplatz ist ein Geschenk der Allgemeinheit an Autofahrende.
Es ist eine soziale Ungerechtigkeit, öffentlichen Raum kostenlos zum Abstellen von individuellem Privatbesitz zur Verfügung zu stellen. Diesem individuellen Privileg gegenüber steht das Grundrecht des Schutzes auf körperliche Unversehrheit, dem mit der Schaffung eines sicheren Radwegs Rechnung getragen wird. Folgerichtig wird in der Verwaltungsvorschrift zur StVO direkt zu Beginn die Verkehrssicherheit als oberstes Ziel benannt.
„Neues Parkhaus wäre gebührenpflichtig, daher ist es nicht sinnvoll“
In der Informationsveranstaltung wurde ausgeführt, dass ein neues Parkhaus nicht sinnvoll sei, da dort Parkplätze kostenpflichtig seien.
Das vermeintliche „Recht auf kostenlosen Parkplatz in der Nähe der Wohung“ wird an anderer Stelle ausführlich behandelt. Auch zeigt die Erfahrung, dass in der Regel dort geparkt wird, wo es am günstigsten erscheint - hinsichtlich der Kosten als auch der damit verbundenen Entfernung vom eigentlichen Ziel. In der Südstadt (keine Bewohnerparkzone) existieren zwei Quartiersgaragen, die praktisch leer stehen.
„Neue Carsharingparkplätze nehmen Parkraum weg“
Einzelne Stimmen wiesen in unterschiedlichem Kontext darauf hin, dass einige der auf dem Mittelstreifen verbleibenden Parkplätze künftig Carsharing-Fahrzeugen vorbehalten bleiben. Es wurde geschlussfolgert, dass damit der Parkraum noch knapper und der Parkdruck größer werden würde.
Dies ist ein Trugschluss, denn richtig ist, dass gerade durch die Einrichtung von Carsharing Parkplätzen insgesamt mehr Parkraum für den einzelnen Autobesitzenden zur Verfügung steht, als ohne diese reservierten Parkplätze: Ein Carsharing-Auto ersetzt ca. 10 Privatautos. In Karlsruhe gibt es über 1.600 Carsharing-Fahrzeuge, wodurch rund 16.000 Privatautos ersetzt werden (Stand: Nov./Dez. 2022). Dadurch wird entsprechend weniger Parkraum benötigt. Carsharing lohnt sich finanziell, wenn die jährliche Fahrstrecke weniger als 10.000 bis 12.000 km beträgt. Dies wird auf einige der aktuellen Autobesitzenden zutreffen. Durch die wohnortnahe Einrichtung von Carsharing-Parkplätzen könnte es noch attraktiver werden, auf Carsharing umzusteigen.
„Die Handwerker:innen, Pflegdienste, Anlieferverkehr oder Kund:innen bekommen keinen Parkplatz mehr.“
In verschiedenen Kontexten wurde die Auffassung vertreten, dass Handwerker:innen, Pflegedienste, Lieferverkehr oder Kund:innen keine Parkplätze mehr bekommen würden und dadurch Anwohnende und Gewerbetreibende in der Kriegsstraße Nachteile hätten.
Auch diese Auffasung ist ein Trugschluss. Durch die angekündigte Parkraumneuordnung und Ausweitung der Bewohnerparkzone werden Kurzzeitparkplätze mit Parkscheibe oder -schein festgelegt. Diese sind nicht durch Dauerparker belegt und ermöglichen es gerade diesen Personengruppen künftig leichter einen Parkplatz zu finden.
Handwerker:innen oder Pflegedienste können zudem Handwerkerparkausweise oder Ausnahmegenehmigungen beantragen, die es ihnen unter anderem ermöglichen, keine Parkgebühren zu bezahlen oder im eingeschränktem Halterverbot und in Bewohnerparkzonen zu parken. Zudem gibt es für Pflegdienste und Handwerksbetriebe Förderprogramme für die Anschaffung eines Lastenfahrrads, das ergänzend zum Auto genutzt werden kann.
„Warum werden die Bahnsteige nicht 'nach hinten' verlegt?“
Die Bürgerinitiative schlägt vor, die Bahnsteige nach hinten zu verschieben und im Haltestellenbereich auf einen Radweg zu verzichten. Damit sei auch dort ein Erhalt der Parkplätze im Mittelstreifen möglich.
Würde man nur den Gehweg auf 34 cm anheben und als Bahnsteig nutzen, müsste man die Gleise an diesen heranschwenken. Das würde Gleisbögen erfordern, die die Bürgerinitiative an anderer Stelle kritisiert.
Wenn es keinen Radweg im Haltestellenbereich gibt, müssen Radfahrende die Fahrbahn benutzen. Da das Gleis aber unmittelbar am rechten Fahrbahnrand liegen muss, da dieser die Bahnsteigkante ist, müssen alle Radfahrende dort die Schienen kreuzen. Dort geschehen die meisten Fahrradunfälle ohne Fremdverschulden – bisweilen sogar mit tödlichen Folgen.
„Straßenbahngleise mit neuen S-Kurven an der Haltestelle Hübschstraße verursachen Lärm.“
Die Bürgerinitiative behauptet, dass die neuen S-Kurven Lärm in erheblichem Ausmaß verursachen würden.
Das Argument ist nicht nachvollziehbar, denn die vorgesehenen Gleisbögen haben relativ große Radien, sodass sie nicht mit den engen Kurven (z. B. Abzweig in die Schillerstraße) vergleichbar sind. Hier wird versucht, ein zusätzliches Argument gegen den barrierefreien Umbau der Haltestelle zu konstruieren.
„Die Haltestelle Hübschstraße ist verzichtbar.“
Der Bürgerverein stellte in einer Ausgabe des Weststadtspiegels die Notwendigkeit des barrierefreien Ausbaus der Haltestelle Hübschstraße infrage. Auf der Informationsveranstaltung wurde in einer Wortmeldung die Notwendigkeit der Haltestelle an sich in Frage gestellt.
Im vom Gemeinderat einstimmig beschlossenen Verkehrsentwicklungsplan der Stadt Karlsruhe wurde für den schienengebundenen öffentlichen Nahverkehr ein Erschließungsradius von 400m und Barrierefrei-Standarts definiert. Zwischen den Haltestellen Kühler Krug und Weinbrennerplatz liegen 700m, so dass nur durch den Erhalt und barrierefreien Ausbau der Haltstelle Hübschstraße dieser demokratische Beschluss umgesetzt werden kann.
Eine Abweichung von diesem würde insbesondere vulnerable Personengruppe wie z.B. mobilitätseingeschränkte Menschen oder Menschen, die sich kein Auto leisten können, am meisten treffen.