Unbefriedigende Infrastruktur im „fahrradfreundlichen“ Baden-Württemberg

Trotz Fahrradboom haben sich der Spaß und das Sicherheitsgefühl beim Radfahren in Baden-Württemberg nicht verbessert. Das ist das ernüchternde Ergebnis des ADFC-Fahrradklima-Tests 2020.

Zwar kommen von den 25 bundesweit ausgezeichneten Kommunen sieben aus Baden-Württemberg, doch die Bewertungen sind schlechter als in den Vorjahren.

„Die Mobilitätswende in Baden-Württemberg steckt im Stau“, resümiert die ADFC-Landesvorsitzende Gudrun Zühlke das Ergebnis des ADFC-Fahrradklima-Tests 2020. Die Radfahrer*innen im Land stellen ihren Städten und Gemeinden mit der Durchschnittsnote 3,8 ein mieses Zeugnis aus und bescheinigen ihnen damit ein unbefriedigendes Fahrradklima. Das Bundesland liegt zwar leicht über dem bundesweiten Durchschnitt (4,0), was allerdings nur Kategorien wie „Verfügbarkeit von Leihrädern“ oder „Fahrradmitnahme im öffentlichen Verkehr“ zu verdanken ist – die von den Radfahrenden in Baden-Württemberg besser bewertet werden als in anderen Bundesländern. „Im eigentlich wichtigen Kernbereich, der Radinfrastruktur, schneidet Baden-Württemberg genauso schlecht ab wie alle anderen“, so Zühlke. Im Land, das „Vorradler“ sein will, habe sich in den vergangenen zwei Jahren nur wenig verbessert.

„Insgesamt muss die Situation für Radfahrende in Baden-Württemberg besser werden – ein ‚Ausreichend‘ ist für die notwendige Mobilitätswende einfach nicht genug!“, sagt Zühlke. 90 Prozent der Befragten des Fahrradklima-Tests gaben an, dass ihnen die Akzeptanz als Verkehrs-teilnehmer und das Sicherheitsgefühl besonders wichtig ist. Doch Baden-Württemberg schafft es noch nicht, in diesen Bereichen Akzente zu setzen: Die Fahrradklima-Test-Ergebnisse machen klar, dass sich Radfahrer*innen in Baden-Württemberg weder sicher noch komfortabel fortbewegen können.

Rekordteilnahme zeigt: Radfahrende wollen mehr

Das sehen auch immer mehr Menschen so: Rund 26.600 Radfahrer*innen haben in Baden-Württemberg über das Fahrradklima abgestimmt und damit 164 Kommunen in das Test-Ranking verholfen. Das sind gleich zwei Rekorde: so viel Teilnehmende (+30%) und so viele Kommunen (+52 %) wie noch nie.  „Das bedeutet, dass sich immer mehr Menschen im Land mit dem Thema Radfahren und einer sicheren Radinfrastruktur auseinandersetzen – und erkennen, dass die Grundlagen vielerorts nur mangelhaft sind“, so Zühlke.  Zwar erlangen die landesweiten Spitzenreiter Rutesheim, Karlsruhe, Konstanz, Freiburg und Heidelberg auch Podestplätze im Deutschland-Ranking. Hinzu kommen zwei von sechs bundesweiten Aufsteigerstädten aus dem Ländle (Böblingen und Gaildorf). Doch lediglich Rutesheim, eine 11.000-Einwohner-Gemeinde im Landkreis Böblingen, wurde mit der Note zwei (2,2) bewertet. Alle anderen liegen zwischen befriedigend und mangelhaft.

Probleme: Radwege zu schmal, Falschparker, Konflikte mit Autoverkehr

Besonders unzufrieden sind die Radfahrenden mit der schlechten Führung an Baustellen (4,6) und den zu laschen Kontrolle von Falschparkern auf Radwegen (Note 4,6). Zudem bemängeln die Radfahrenden die fehlende Breite von Radwegen (4,5) und ungünstige Ampelschaltungen für den Radverkehr (4,5). Ergänzend kritisieren in den größeren Städten Radfahrende Konflikte mit dem Kfz-Verkehr (4,3).

Gefüllte Fördertöpfe lassen für die Zukunft hoffen

Trotz Fahrradboom in der Corona-Krise gibt es keine verbesserte Infrastruktur. „Dabei sind die finanziellen Mittel dafür da: Die Fördertöpfe sind gefüllt“, so Zühlke. Mit den Geldern aus dem baden-württembergischen Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (LGVFG) und aus dem Sonderprogramm „Stadt und Land“ des Bundes könne ein Fördersatz von 90 Prozent erreicht werden. „Doch die vorhandenen Fördertöpfe zeigen bei den Gemeinden noch keine flächendeckende Wirkung“, so die Landesvorsitzende.  „Es liegt jetzt an der lokalen Politik in den Gemeinden und Städten. Sie müssen ihre Verwaltungen damit beauftragen, schnellstmöglich eine zukunftsgerichtete Radinfrastruktur zu schaffen.“ Probleme wie Falschparker und Baustellen können sofort angegangen werden.

Konkrete Lösungen statt „Weiter-so-wie-bisher“

Damit die Mobilitätswende nicht im Stau stecken bleibt, ist es für den ADFC essenziell, den Ausbau eines flächendeckendes Radnetzes endlich voranzubringen: „Es muss heißen: Bauen, bauen, bauen – eine komfortable und sichere Infrastruktur schaffen und nicht an den Mindestmaßnahmen und -standards langzuhangeln. Das wird dem aktuellen Trend und der zukünftigen Anzahl Radfahrender nicht gerecht“, so Zühlke. Radwege müssen ausreichend breit gestaltet werden, damit sie der wachsenden Nachfrage auch in der Zukunft gerecht werden. „Dafür muss eine Umverteilung der vorhandenen Verkehrsfläche zu Gunsten des Radverkehrs mutig angegangen werden und darf nicht zu Lasten des Fußverkehrs gehen.“ Damit das Sicherheitsgefühl der  Radfahrenden im Land steigt, gelte es außerdem, die Straßenverkehrsordnung (StVO) konsequent anzuwenden und die Einhaltung zu kontrollieren. „Es gibt bereits einen Falschparker-Erlass sowie einen festgeschriebenen Überholabstand von 1,5 Metern– doch überwacht wird das so gut wie gar nicht“, bemängelt der ADFC.
Für den Fahrradclub müssen die Verkehrswende und Radfahrende bei sämtlichen stadtplanerischen Angelegenheiten oder auch bei geplanten Baumaßnahmen mitgedacht werden. Für die notwendige Verbindlichkeit fordert der ADFC ein Radgesetz – auch als Teil eines Mobilitätsgesetzes. „Das Mobilitätsziel des Landes, dass bis 2030 über 50 Prozent der Wege selbstaktiv, also mit dem Rad und zu Fuß zurückgelegt werden, verstehen wir dabei als anzustrebendes Minimum“, so Zühlke. Ein „Weiter-so-wie- bisher“ wird allerdings nicht ausreichen, um dieses Ziel zu erreichen und um den Radfahrenden im Land künftig ein besseres Sicherheitsgefühl zu vermitteln.

Hinweis für Redaktionen:

Die gesamte Pressemappe zum ADFC-Fahrradklima-Test 2020 inklusive eines Porträtfotos von Gudrun Zühlke finden Sie in unserem Pressebereich. Alle Ergebnisse sowie zahlreiche Erklärtexte gibt es auf www.fahrradklima-test.adfc.de und www.adfc-bw.de.

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